Osman Dumbuya

KI für eine bessere Welt

Das Berliner Unternehmen Incari hat eine Technologie entwickelt, die mithilfe künstlicher Intelligenz die Gestaltung komplexer Oberflächen ohne Programmierkenntnisse erlaubt. Für Gründer und CEO Osman Dumbuya ist dies der erste Schritt, um mehr Menschen die Teilhabe am Wirtschaftsfaktor Digitalisierung zu ermöglichen.

EIN KLARER SEPTEMBERTAG IN BERLIN. Die weiche Herbstsonne spiegelt sich in den Fensterfassaden der Gebäude am Potsdamer Platz. Hier, in unmittelbarer Nähe des Sony Centers, befindet sich der Firmensitz von Incari. Während sich weiter unten Autos behäbig durch die Straßen schieben, schweift der Blick über den Tisch des Besprechungsraums hinweg in das Grün des Tiergartens. Osman Dumbuya wirkt entspannt, doch im Gespräch wird schnell deutlich, wie sehr er für seine Vision brennt. Sein Ziel: nicht weniger als die Revolutionierung der Digitalwirtschaft mittels KI, um mehr Menschen in diesem Bereich ökonomischen Erfolg zu ermöglichen. Die Voraussetzung dafür sei jedoch, „digitale Maschinen menschengeeigneter zu machen und ein neues Wir zu erzeugen“, sagt der Unternehmer. Incari steht für Intelligent Car Interface. „Wir sind ursprünglich angetreten, um auf Basis unserer Technologie Human-Machine-Interface-Lösungen für die Automobilwirtschaft zu entwickeln“, sagt Osman Dumbuya.


BEREITS BEI DER ENTWICKLUNG SEINER ERSTEN FIRMA PI-VR ging es um die digitale Transformation der Automobilindustrie durch die Digitalisierung der Prototypenentwicklung. Den Proof of Concept für seine damalige Idee konnte er bei einem Besuch in Japan erleben: „Wir waren in Toyota City, einem riesigen Raum mit 50 Computern in Reihe – und überall lief unsere Software! Sie war ein produktiver Teil des Prozesses. Das hat mich so stolz gemacht, ich habe eine solche Energie gespürt und gedacht: Ich bin auf dem richtigen Pfad.“ Heute wird die Technologie von Autodesk Inc. fortgeführt und auch außerhalb der Autoindustrie für die Entwicklung digitaler Prototypen verwendet.

DUMBUYAS WEG BEGINNT IN DER REPUBLIK SIERRA LEONE an der Westküste Afrikas, einer ehemaligen britischen Kronkolonie mit Grenzen zu Guinea und Liberia. Die Eltern geben den zweijährigen Osman in die Obhut von Verwandten, um in Deutschland ein neues – besseres – Leben für die Familie aufzubauen. Als Osman fünf Jahre alt ist, holen sie ihn nach. Im selben Jahr wird sein Bruder geboren. Die Familie wohnt im Berliner Stadtteil Wedding, und Osman geht seinen Weg. „Ich habe schon früh gespürt, dass Selbstständigkeit mein Thema ist. Keine Option, sondern ein Muss. Als Kind einer Migrantenfamilie wusste ich: Du musst dein eigener Chef sein, um etwas bewegen zu können. Deshalb stand für mich nie etwas anderes auf dem Tapet als eines Tages, wenn ich genug gelernt habe, genug verstanden habe, mein eigenes Ding zu machen.“ Helden oder Vorbilder habe er dabei nicht gehabt, sagt der CEO von Incari: „Auch Helden sind Menschen, und Menschen haben Stärken und Schwächen. Man muss beide Seiten betrachten. Wahrheit ist in diesem Zusammenhang ein schwer zu definierender Begriff.“

ALS DUMBUYA SEIN INFORMATIKSTUDIUM im Jahr 2004 an der Technischen Fachhochschule Berlin (der heutigen Hochschule für Technik) abschließt, passiert erst einmal nichts. Der Bereich, in dem er arbeiten möchte – digitale Visualisierung –, findet in Berlin nicht statt. In Großbritannien, Neuseeland oder in den USA dagegen schon. Dort entstehen Blockbuster wie „Harry Potter“, „Herr der Ringe“ oder „Star Wars“, die ihre Zuschauer in nie gekannte, digital perfekt inszenierte Welten entführen. Letztendlich nimmt Osman Dumbuya das Angebot einer Münchner Produktion an, die 3-D-Filme für Kunden wie BMW umsetzt. Es sei eine Entscheidung für „seine“ Stadt gewesen, sagt der überzeugte Berliner: „Es gibt kaum eine Stadt auf der Welt, die jeden so sein lässt, wie er ist, und wo jeder seine Nische findet. Mein Lebensmittelpunkt sollte hier sein. Und ich wusste, wenn ich zu den anderen gehe, komme ich nicht mehr zurück. Aber von München bis Berlin sind es nur 600 Kilometer.“


ZURÜCK IN BERLIN, GRÜNDET DUMBUYA 2011 CGI Studio als Serviceagentur für sein erstes Tech-Start-up PI-VR, das er jedoch ein Jahr später verkauft. Während der nächsten Dekade transformiert er CGI Studio – die Abkürzung steht für Computer-Generated Imagery – zu einem Technologieunternehmen für neue Softwareanwendungen, 2021 erfolgt die Umbenennung in Incari.

MIT KÜNSTLICHER INTELLIGENZ UND IHREN MÖGLICHKEITEN habe er sich bereits um 2013 herum befasst, sagt Osman Dumbuya, „aber die Konzepte waren einfach noch nicht reif“. Auch der nächste Anlauf im Jahr 2015 führt zu keinem greifbaren Ergebnis. Erst Ende 2020, als Player wie Googles DeepMind-Team mit vielversprechenden Ergebnissen auf der Bildfläche erscheinen, wird sein Interesse erneut geweckt. „Als Reinforcement Learning dann so um 2020/21 vielversprechende Ansätze wie die Bild-KI MidJourney hervorgebracht hat, ist das The- ma für mich persönlich wieder groß geworden.“ Die Entwickler von Incari arbeiten seit knapp einem Jahr mit KI.


WAS IHN ANTREIBE, SAGT OSMAN DUMBUYA, sei die „Hoffnung, dass unsere Entwicklungen Impact auf andere Menschen haben, und darauf, wie sich ihr Leben positiv verändern kann“. Konkret bedeutet das: Dumbuya will Lösungen entwickeln, die Menschen dazu befähigen, ihre Kreativität in digitale Produkte zu verwandeln – ohne die Expertise von Programmierern zu besitzen. „Um dies zu erreichen, müssen wir der KI kreative Freiheit ermöglichen, die den Raum für Fehler größer macht“, sagt der Unternehmer. „Dabei werden neue, inspirierende Dinge entstehen, die kreative Menschen nicht mehr schlafen lassen werden, wenn sie an die Möglichkeiten denken.“ Er verweist auf Beispiele wie die bilderzeugende KI MidJourney oder den Chatbot ChatGPT, die beide allerdings weit mehr im medialen Fokus stünden als zum Beispiel die IBM-KI Watson, die in medizinischen Diagnoseverfahren zum Einsatz kommt. „Es geht mit Riesenschritten voran“, kommentiert er die technologische Entwicklung.


DIE DERZEIT OFT BESCHWORENE ANGST vor dem Kontrollverlust gegenüber KI teile er „null“, sagt Osman Dumbuya. „Aber wir müssen uns klarmachen, dass KI zu einer Machtkonzentration bei einzelnen Menschen führen wird, und das ist gefährlich. Da brauchen wir dringend Konzepte, um das einzudämmen. Wenn wir es gut machen, wird KI jedem Menschen die Power geben, die die meisten heute nicht haben.“ Denn künstliche Intelligenz werde es den Menschen ermöglichen, in kreativen wie auch wissenschaftlichen Bereichen Konzepte zu entwickeln, die über die eigene Vorstellungskraft hinausgehen. „Wenn Menschen zu einer Erkenntnis kommen, ist dies das Resultat eines Musterabgleichs. Unsere gesamte Wissenschaft basiert darauf, dass wir bestimmte Muster erkennen. Eine KI tut das auch, und sie ist dabei viel schneller als wir“, sagt der Incari-Chef. „Was die Sache spannend macht: Manche Muster sind so komplex, dass Menschen sie bis heute nicht verstanden haben. Eine trainierte KI jedoch kann das, in kurzer Zeit. Und sie findet Lösungen.“


Soeben hat Dumbuya ein neues Produkt angekündigt, entwickelt auf Basis der Incari Development Platform. Incari Inna – für Intelligent Neural Network Abstraction – sei die Antwort auf die steigende Nachfrage an intuitiven, anpassungsfähigen KI-Lösungen und eine Benchmark auf dem Weg zum Ziel: „Wenn jeder Software gestalten kann, weil die Fähigkeiten durch KI gegeben sind, dann geht es plötzlich nur noch um Kreativität, und wir haben es mit einem anderen Wettbewerb zu tun. Denn jeder kann Innovationen in die Welt bringen.“ Incari sei nicht das erste Unternehmen, das daran arbeitet, sagt Osman Dumbuya, „aber ich glaube, wir haben eine sehr gute Chance, die Ersten zu sein, die eine solche Lösung funktionsfähig auf den Markt bringen“.

Text: Christian Bracht
Foto: © Doro Zinn
Datum: November 2023

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