Das grüne Wunder

Algen sind eine glitschige Angelegenheit. Dennoch gelten sie als Rohstoff der Zukunft, weil sie eine Superkraft besitzen. Ein junges Berliner Unternehmen will sich das zunutze machen.

WAS FÄLLT EINEM EIN, WENN MAN AN ALGEN DENKT? Vielleicht der grüne Fleck, der sich um einen Abfluss windet. Oder der Erbsensuppenschaum, der auf einem Sommerteich schwimmt. Auf jeden Fall etwas Schleimiges, Glitschiges, das stinkt. Irgendwie eklig. Nie im Leben würde man darauf kommen, sich ausgerechnet Algen als Bild an die Wand zu hängen. Oder? Benjamin Herzog und Johann Bauerfeind haben da andere Erfahrungen gemacht. Sie verkaufen „Algenbilder“. 200 Stück haben sie schon an die Frau oder den Mann gebracht. Dazu kommen 15 sogenannte Algenwände, die sind dann 1,80 Meter hoch. Die beiden Anfangvierziger sind aber keine Künstler, sondern Biologen und Unternehmer. Und in ihrem Berliner Start-up Solaga „geht es gerade so richtig los“, sagt Benjamin Herzog. Der Firmensitz in Marzahn ist Büro und Labor zugleich. Herzog geht von seinem Schreibtisch nur ein paar Schritte zu den blubbernden Wannen, in denen sein schwimmendes Kapital wächst.

URSPRÜNGLICH HABEN ER UND BAUERFEIND DARAN GEFORSCHT, wie man mit Algen Energie erzeugen kann. Im Zuge dessen experimentierten sie damit, die Algen zu Matten zusammenzufügen und sie länger am Leben zu halten. Wie das genau funktioniert, will Herzog nicht verraten. „Firmengeheimnis. Wir sind weltweit die Einzigen, die das machen“, sagt er. Dann kam die Idee, die Algenmatten hinter Glas zu verschließen. Das ist keine schräge Deko-Idee, sondern ein Luftreinigungssystem. Denn Algen haben die Eigenschaft, genau das besonders zu mögen, was für uns Menschen Luftschadstoffe sind: Kohlendioxid, Feinstaub, Stickoxide, flüchtige Chemikalien. Die wandeln sie in Sauerstoff um: Fotosynthese. Man kennt das von den Pflanzen, die auf der Erde wachsen, nur machen es Algen noch besser. Herzog bietet seine Algenbilder deshalb als Alternative zur klassischen Zimmerpflanze an. Die Algen bringen keine Schädlinge oder Mikroorganismen in der Blumenerde mit. „Und sie sind bei der Synthese viel effizienter“, erläutert Herzog.

PFLANZEN NEHMEN DIE BENÖTIGTEN NÄHRSTOFFE hauptsächlich über ihre Wurzeln auf, während Algen über die Oberfläche filtern. „Bei unserem Algenbild strömt die Luft so hindurch, dass Schadstoffe über die gesamte Oberfläche aufgenommen werden“, sagt Herzog. Auch Feinstaub können die Algen aufnehmen, Pflanzen lagern ihn höchstens auf ihren Blättern ab. Wie gut ihre Algenbilder wirken, hat Solaga selbst untersucht und sich vom Fraunhofer-Institut bestätigen lassen. Ergebnis: Die Filterleistung eines Bildes reicht aus, um die Schadstoffbelastung eines Raums von etwa 15 Quadratmetern unter die gesundheitsschädlichen Grenzwerte zu bringen.

Solaga hat bereits einige Investoren gewonnen, vor allem Business Angels, die sich nicht nur finanziell an dem Unternehmen beteiligen, sondern die Existenzgründer auch mit Know-how und Kontakten unterstützen. Der Energieversorger GASAG hat Solaga bereits beauftragt, über ein Förderprogramm des Bundeswirtschaftsministeriums gab es einen Zuschuss. Was das Unternehmen so wertvoll macht: Es zeigt auf besonders anschauliche Art, welches Potenzial in Algen steckt und warum viele in den glitschigen Wasserlebewesen eine Antwort auf die drängenden Klima-, Ernährungs- und Gesundheitsfragen unserer Zeit sehen.

DAS LIEGT ZUM EINEN AM KLIMAFREUNDLICHEN ANBAU VON ALGEN. Sie benötigen keine riesigen Ackerflächen, sondern gedeihen nahezu ganzjährig im Meer oder in Mikroalgenfarmen. Umweltschädlichen Dünger brauchen sie nicht. Trotzdem wachsen sie bis zu 20-mal so schnell wie Landpflanzen und produzieren gegenüber Raps eine bis zu 30-fache Menge an verwertbaren Fetten.

Als Superfood wurden Algen deshalb längst von der Lebensmittelbranche entdeckt. Wegen ihres hohen Protein- und Jodgehalts setzt die Welternährungsorganisation auf Algen als alternative Proteinquelle für die wachsende Weltbevölkerung. In den Küstenregionen der Bretagne, in Irland oder Schottland essen die Menschen schon seit Jahrhunderten Algen. Relativ neu ist die Idee, sie auch Rindern ins Futter zu mischen. Das verblüffende Ergebnis: Der Ausstoß des klimaschädlichen Methans verringert sich um bis zu 80 Prozent.

AUCH VERPACKUNGEN VON LEBENSMITTELN könnten bald häufiger aus Algen bestehen – und nach Gebrauch gleich selbst aufgegessen werden. Das Start-up Evoware stellt solche Materialien bereits in Indonesien her, wo mehr Algen geerntet werden als irgendwo sonst auf der Welt. Außerdem gibt es erste Prototypen für USB-Sticks und Blumentöpfe aus Algen. An der Universität von Tel Aviv wird ein Bioplastik-Polymer entwickelt, das entsteht, wenn Mikroorganismen aus dem Meer sich von Algen ernähren. Die New Yorker Designerin Charlotte McCurdy hat eine Regenjacke kreiert, die aus erhitztem Algenpulver besteht. In der Medizin gelten Algen als Hoffnungsträger gegen Blindheit, Alzheimer oder Krebs. Der hohe Anteil an Vitaminen und Antioxidantien macht sie zudem für die Kosmetik interessant.

Der Effekt für den Klimaschutz könnte geradezu revolutionär sein, wenn es gelingt, Algen als Baustoff zu nutzen. An der TU München tüfteln Forscherinnen daran, Carbonfasern und Kunststoffe aus Algen herzustellen. Besonders Carbon gilt als Baustoff der Zukunft. Auch hier gibt es einen klaren Vorteil: Werden die Carbonfasern aus Algenöl hergestellt, entzieht die Herstellung der Atmosphäre mehr Kohlendioxid, als freigesetzt wird. Aus dem Algenöl lassen sich Fasern gewinnen, die mithilfe der Energie von Parabolspiegeln CO2-neutral zu Kohlefasern „gebrannt“ werden können. Werkstoffe aus diesem Material wären laut den Forschern leichter als Aluminium und stabiler als Stahl. Die Wissenschaftlerinnen denken groß: Weltweit ließen sich Anlagen von der Größe Algeriens bauen und so beispielsweise die CO2-Emissionen der Luftfahrt ausgleichen.

BEIM THEMA ALGEN ALS BAUMATERIAL kommen auch die Berliner von Solaga wieder ins Spiel. Denn der nächste Schritt für Benjamin Herzog und Johann Bauerfeind wäre es, ihre Innovation nach draußen zu tragen. Die Idee: An Hausfassaden angebracht, könnten ihre Algenfilme in den Städten tun, was sie jetzt schon drinnen machen – die Luft verbessern. Dabei arbeiten Herzog und Bauerfeind eng mit der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung zusammen. Julia von Werder, Expertin für mineralische Baustoffe, leitet dort das Projekt Algenbiofilmfassade, das vom Bundesbauministerium im Innovationsprogramm „Zukunft Bau“ gefördert wird. „Wir stehen noch ziemlich am Anfang“, gibt sie zu. Denn gefragt ist ein generelles Umdenken. Algenwachstum auf Fassaden ist bisher etwas, das Hausbesitzer bekämpfen. Putz- und Farbhersteller rüsten ihre Produkte mit Bioziden aus, damit alles schön weiß bleibt. „Uns ist klar, dass es da eine instinktive Ablehnung gibt. Deshalb arbeiten wir mit Architektinnen daran, die Fassadenelemente auch optisch ansprechend zu machen“, so von Werder.

Wie das gehen könnte, zeigt ein „Algenbaum“, der in Mexiko-Stadt steht. Das vom Start-up BiomiTech entwickelte Gerät ist etwas mehr als vier Meter hoch, fast drei Meter breit und wirkt wie eine Kreuzung aus großem Baum und postmoderner Skulptur. Darin sind organische Mikroalgen hinter einem Stahlband angeordnet, mit denen der künstliche Baum nach Angaben des Unternehmens die Leistung von 368 echten Bäumen ersetzen kann.

DOCH DER ALGENBAUM KOSTET 50 000 US-DOLLAR – und damit ist der entscheidende Faktor benannt, weswegen das grüne Algenwunder noch nicht eingetreten ist. Bislang sind die Produktionskosten von Mikroalgen häufig zu hoch und die Produktionsmengen zu gering, um mit etablierten Herstellungsverfahren für hochwertige Wertstoffe oder auch als Energiequelle mithalten zu können. Doch an vielen Ecken der Welt wird mit Hochdruck daran geforscht, das zu ändern. Und zumindest ihr Imageproblem scheinen die Algen abzulegen, wenn man sie sich schon an die Wand hängt.

Text: Constantin Wißmann
Fotos: © Alex Tihonovs / Shutterstock, © BiomiTech
Datum: März 2024

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