Glück ist machbar

Selbstoptimierung ist das Thema der Stunde. Kein Wunder also, dass die Branche der Life Coaches boomt. Mit ihrer Unterstützung sollen die Klientinnen und Klienten mögliche Krisen erkennen und abwenden. Doch den „richtigen“ Coach zu finden ist alles andere als einfach.

WOLLEN SIE SICH EIN außergewöhnlich glückliches, erfülltes und erfolgreiches Leben erschaffen? Dann melden Sie sich bei dem richtigen Life Coach an – und Sie werden Ihre Träume verwirklichen. So jedenfalls das Versprechen. Eine dieser Life Coaches ist Laura Malina Seiler, Podcasterin und Gründerin der „Rise Up & Shine Uni®“. Dort werden zahlende Teilnehmer „Schritt für Schritt dabei unterstützt, zu deinem wahren Selbst zu finden und dir ein außergewöhnlich glückliches ...“ – wie es weitergeht, ahnen Sie. Wer möchte nicht erfolgreich, glücklich und im Reinen mit sich sein?

Kein Wunder also, dass Life Coaches eine sehr große Zielgruppe haben. Die Unzufriedenheit in der Gesellschaft ist groß, der Optimierungsdruck noch größer. Aus dem gleichen Grund boomen Fitnessangebote und die Schönheitschirurgie, gibt es leistungssteigernde oder beruhigende Pillen und hautstraffende Cremes.

COACHING IST NICHT NEU. Schon Ende der Neunzigerjahre füllte Jürgen Höller riesige Säle, motivierte seine Zuhörerinnen, alte Glaubenssätze abzulegen und von nun an in den Kategorien Höher, Schneller und Weiter zu denken. Daneben gibt es seit Langem Coaches, die vor allem im Businessbereich tätig sind. Sie helfen insbesondere Führungskräften, mit dem Druck und den alltäglichen Anforderungen klarzukommen. Sie coachen Mitarbeiter, die Angst haben, vor Menschen zu sprechen, oder solche, die Bauchweh bekommen, wenn sie ihre Chefin nur aus der Entfernung sehen.

Aber wie es so ist: Die Welt dreht sich weiter. Heute wird nicht mehr getrennt zwischen Beruf und privat, beim Businesscoaching steht zunehmend der Mensch im Mittelpunkt – und nicht seine Funktion, als Führungskraft zum Beispiel. Die Female Leadership Academy beschreibt ihren Ansatz so: „Um andere gut führen zu können (Fremdführung), ist es wichtig, sich selbst zu reflektieren und wohlwollend zu führen (Selbstführung). Eigene innere Stärke lässt uns auch schwierige Leadership-Aufgaben tragen und uns ein Vorbild für andere sein.“ Daher „investieren starke Führungskräfte auch in ihre persönliche Weiterentwicklung“. In der Female Leadership Academy soll beides Hand in Hand gehen, der Aufbau von Führungskompetenzen und die persönliche Weiterentwicklung. Das kommt an: Seit der Gründung vor fünf Jahren haben nach Angaben der Academy mehr als 1000 Absolventinnen an verschiedenen Kursen teilgenommen. Diese finden digital statt. So ist die flexible Vereinbarkeit mit vielfältigen Arbeits-, Lebens- und Familienmodellen möglich.

ABER SO MANCHER WILL NOCH MEHR. Er will in allen Disziplinen – als Vater, Mutter, Angestellte, Partner – das Beste aus sich herausholen. Es muss der ständige Superlativ sein. Zugleich maximal entspannt. Da der Mensch, den derlei Gedanken umtreiben, in der Regel in sozialen Netzwerken unterwegs ist, erhält er täglich etliche Angebote für Life Coaching. Die Verheißungen sind verlockend. Man schaue sich nur eines der vielen Videos der schon erwähnten, sehr erfolgreichen Berliner Coachin Laura Malina Seiler an. Da steht eine junge Frau in lautem Großstadtgetöse und sagt, dass es völlig normal sei, „wenn du dich gerade überfordert oder unsicher fühlst“. Doch dann sagt sie: „Stell dir vor, du schließt deine Augen und tauchst in deine innere Welt ein. Du schaffst dir dort einen Ort, an dem du dich sicher und geborgen fühlen kannst.“ Und schon kommt der Schwenk in ein schickes Holzhaus inmitten unberührter Natur.

Es kommt einem diese Idee: Vielleicht wäre ein ausgedehnter Urlaub am Ozean für die ausgebrannte Seele besser als ein Coaching zu Hause zwischen Häuserschluchten? „Coaching hat sehr wohl seine Berechtigung“, sagt Jürgen Walter, selbst Coach und studierter Diplompsychologe. Walter, Inhaber der gleichnamigen Beratungsgesellschaft, zitiert die bekannte Medizinerweisheit: „Wer heilt, hat recht.“ Soll heißen: Fühlt man sich bei welchem Coach auch immer aufgehoben und erlebt Fortschritte, soll man das machen. Auch Ralf Dannemeyer, Lehrcoach und Vorsitzender des Deutschen Verbands für Neuro-Linguistisches Programmieren, sagt, dass Coaching sinnvoll sei. „Man kann dem Glück mit Coaching auf die Sprünge helfen. Ein Life Coach unterstützt Menschen in Krisen oder hilft, einen neuen Sinn oder neue Ziele im Leben und im Beruf zu finden.“ Gehe es der Kundin indes darum, sich um jeden Preis optimieren zu wollen oder für jeden Schritt, den sie gehen möchte, eine Rückversicherung zu bekommen, rät Dannemeyer ab.

GAR NICHT GEEIGNET IST COACHING FÜR MENSCHEN mit tiefergreifenden Problemen wie einer Depression oder Suchterkrankung. Seriöse Coaches ziehen hier eine Linie, machen klar, dass sie kein Ersatz für einen Therapeuten sind. „Doch wie will ein Laie eine derart komplexe Sache wie die menschliche Psyche erkennen?“, fragt Jürgen Walter. Er ist daher skeptisch, wenn Coaches keine fundierte Ausbildung besitzen, sondern nur ein paar Wochenendseminare besucht haben. Ein Psychologe erkenne, wenn eine Depression vorliege, und beachte das. „Darum habe ich Psychologie studiert“, sagt Walter. Viele der Coaches haben eine solche oder ähnliche Ausbildung jedoch nicht, der Begriff Coach ist nicht geschützt. Jeder kann mit diesem Titel an Rat suchende Menschen herantreten.

Wobei Rat, laut Walter, ein mit Vorsicht zu genießender Begriff ist. „Ratschläge sind auch Schläge“, sagt der Psychologe. Tipps hingegen seien sehr wohl Bestandteil der Sitzungen. Man wolle ja helfen. Aber Walter sagt, dass er solche Tipps vorsichtig formuliere. „Ich frage den Klienten: Wäre das denkbar?“ Ein guter Coach stelle vor allem Fragen, eruiere mit der Kundin, wo das tiefere Problem hinter dem vordergründigen liegt. Dannemeyer sagt, dass sich ein guter Coach in den Klienten hineinversetze. „Er geht eine Weile in seinen Mokassins, um das Thema wirklich zu erfassen.“ Das Entscheidende sei, eine Beziehung zur Kundin aufzubauen. Funktioniere das nach einigen Sitzungen nicht, sollte man sich trennen. Ewig in die Länge gestreckte Sitzungen seien im Übrigen auch eher kontraproduktiv, sagt Dannemeyer. „Nach fünf bis sechs, höchstens zehn Stunden sollte der Klient so weit sein, dass ich überflüssig bin.“

DIE SCHWARZEN SCHAFE DER BRANCHE sehen das wahrscheinlich genau umgekehrt. Ein zufriedener Mensch ist schließlich kein zahlender Kunde. Daher gilt: Augen auf bei der Wahl des Coaches. Am besten, man orientiert sich bei den diversen Verbänden, etwa dem Deutschen Bundesverband Coaching. Wer dort gelistet ist, hat zumindest eine gewisse Ausbildung und verpflichtet sich zu ethischen Grundsätzen. Ferner hilft ein Blick auf die Website des Coaches. Welche Erfahrungen hat er, wie alt ist er, welche Studiengänge oder Schulungen hat er absolviert?

Life Coaching soll das eigene Ego stärken. Doch wie sinnvoll ist das, wenn die Problematik auch andere Menschen betrifft? Die Berliner Paartherapeutin Hannah Hebenstreit hat eine klare Meinung dazu: „Geht man allein zum Coach, hört dieser immer nur die eine Seite – und gibt ihr womöglich recht.“ Aber gerade zwischenmenschliche Beziehungen bräuchten die Sichtweisen beider Personen. „Beide müssen gehört werden, beide müssen arbeiten, nur gemeinsam finden sie eine Lösung“, sagt Hebenstreit.

Text: Sabine Hölper
Fotos: © ppl / Shutterstock, © Viktor Strasse
Datum: November 2023

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